Einleitung: Krankheitsbilder der Netzhaut
Die Netzhaut ist das empfindlichste und zugleich wichtigste Gewebe im Auge.
Wie ein lichtempfindlicher Film verwandelt sie das einfallende Licht in elektrische Impulse, die über den Sehnerv an das Gehirn weitergeleitet werden – erst dort entsteht unser eigentliches Sehen.
Schon kleinste Veränderungen an der Netzhaut können das Sehen nachhaltig beeinträchtigen.
Erkrankungen entstehen aus ganz unterschiedlichen Ursachen:
manche durch altersbedingte Veränderungen, andere infolge von Durchblutungsstörungen, Entzündungen, genetischen Faktoren oder Operationen am Auge.
Einige Formen verlaufen schleichend und werden erst spät bemerkt, andere treten plötzlich auf und erfordern sofortige Behandlung.
Die moderne Augenheilkunde kann heute viele dieser Erkrankungen gut diagnostizieren und behandeln.
Entscheidend ist jedoch, die Warnzeichen früh zu erkennen und regelmäßig augenärztliche Kontrollen wahrzunehmen –
denn bei der Netzhaut zählt oft jede Stunde.
Netzhautablösung – wenn sich die Welt plötzlich verdunkelt
Die Netzhaut, medizinisch Retina, kleidet das Augeninnere aus wie eine feine, lichtempfindliche Leinwand. Hier sitzen Millionen von Sinneszellen, die das einfallende Licht in elektrische Impulse umwandeln und über den Sehnerv an das Gehirn weiterleiten. Erst dort entsteht das, was wir als „Sehen“ erleben.
Bei einer Netzhautablösung hebt sich diese empfindliche Schicht teilweise oder vollständig von der darunterliegenden Aderhaut ab. Zwischen beiden Schichten entsteht ein winziger Spalt, in dem Flüssigkeit eindringt – und plötzlich wird der Bereich nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Bleibt dieser Zustand bestehen, sterben die betroffenen Sinneszellen innerhalb kurzer Zeit ab.
Warum die Netzhaut so empfindlich reagiert
Netzhaut und Pigmentepithel sind nicht fest miteinander verwachsen. Sie haften nur durch feine physikalische Kräfte – den hydrostatischen Druck aus dem Glaskörper und die chemisch-elektrischen Anziehungskräfte zwischen den Schichten. Wird dieses Gleichgewicht gestört, kann sich die Netzhaut ablösen – und das Licht, das früher ein Bild erzeugte, trifft nun auf eine funktionslose Fläche. Betroffene nehmen dies als Schatten oder dunkle Wand wahr – oft seitlich oder von unten ins Gesichtsfeld hineinziehend. Das, was auf der Netzhaut unten geschieht, erscheint im Sehen oben – und umgekehrt.
Wird die Makula, der Punkt des schärfsten Sehens, mitbetroffen, fällt der Visus rasch ab. Löst sich die gesamte Netzhaut ab, führt dies unweigerlich zur Erblindung des betroffenen Auges. Eine Operation ist dann unumgänglich, um die Netzhaut wieder anzulegen und die Sehfunktion – soweit möglich – zu retten. Alternative Heilmethoden gibt es nicht.
Wie häufig ist eine Netzhautablösung?
Lange Zeit galt sie als seltene Erkrankung – etwa 10 Fälle pro 100.000 Menschen jährlich. Neue Studien zeigen jedoch deutlich höhere Zahlen: bis zu 40 Fälle pro 100.000 Personen. Das Risiko steigt erheblich, wenn bestimmte Faktoren hinzukommen:
- starke Kurzsichtigkeit (Myopie)
- vorangegangene Katarakt-Operation
- Netzhautablösung am Partnerauge
Besonders Menschen mit hoher Myopie sollten aufmerksam sein. Die Zahl der Kurzsichtigen nimmt weltweit stark zu – und mit ihr auch das Risiko für Netzhautprobleme. Forschende rechnen bis 2050 mit einer Verdoppelung der Fälle von Kurzsichtigkeit. In Deutschland ist bereits jedes dritte Kind oder jeder dritte Jugendliche betroffen, in Ostasien sogar bis zu 80 %. Diese Entwicklung zeigt, warum Netzhauterkrankungen künftig häufiger auftreten dürften – nicht zuletzt durch dauerhafte Naharbeit an Smartphone, Tablet und Bildschirm.
Warnzeichen und Rückfälle
Die ersten Anzeichen einer drohenden Ablösung sind oft unscheinbar: plötzliche Lichtblitze, Rußregen (kleine schwarze Punkte oder Flocken) oder ein Schatten im Randbereich des Sehens. In diesem Stadium lässt sich die Netzhaut meist noch erfolgreich wieder anlegen – jede Stunde zählt.
Auch nach einer erfolgreichen Operation bleibt ein Risiko: Bei etwa 10 bis 20 Prozent der Patientinnen und Patienten kann sich eine Re-Amotio, also eine erneute Netzhautablösung, entwickeln. Häufig ist eine Proliferative Vitreoretinopathie (PVR) dafür verantwortlich – eine überschießende Vernarbungsreaktion der Netzhaut. Sie tritt meist in den ersten drei Monaten nach der Operation auf, seltener erst nach Monaten oder Jahren. Regelmäßige Kontrollen sind daher unerlässlich.
Achtsamkeit und Vorsorge
Das Risiko einer Netzhautablösung ist heute nicht mehr selten – und es wächst mit der zunehmenden Kurzsichtigkeit in allen Altersgruppen. Regelmäßige augenärztliche Kontrollen, insbesondere bei Myopie oder nach Augenoperationen, sind die beste Vorsorge. Ebenso wichtig ist es, die ersten Warnzeichen ernst zu nehmen. Wer Lichtblitze, Schatten oder plötzliche Seheintrübungen bemerkt, sollte sofort eine Augenärztin oder einen Augenarzt aufsuchen – am besten noch am selben Tag.
Aufklärung, Achtsamkeit und rechtzeitiges Handeln können in vielen Fällen den Unterschied machen – zwischen einem plötzlichen Sehverlust und einem geretteten Auge.
Netzhautablösung – Vorzeichen, Ursachen und Formen
Manchmal kündigt sich eine Netzhautablösung leise an, manchmal kommt sie ganz plötzlich. Typische erste Anzeichen sind Lichtblitze, die entstehen, wenn der Glaskörper an der Netzhaut zieht, oder Rußflocken, die wie kleine dunkle Punkte oder aufsteigender Rauch erscheinen – sie deuten auf kleine Blutungen hin. Ein Schatten oder dunkler Vorhang im Gesichtsfeld (ein sogenanntes Skotom) ist hingegen kein Vorzeichen mehr, sondern bereits ein deutliches Warnsignal für eine bestehende Ablösung.
Nicht immer gehen diesen Symptomen Schmerzen oder starke Veränderungen voraus. Gerade bei kleinen, peripheren Netzhautdefekten bemerken Betroffene häufig gar nichts – bis die Ablösung plötzlich auftritt. Tritt eines dieser Warnzeichen auf, ist sofortiges Handeln entscheidend: Nur wenn die Netzhaut rechtzeitig operativ wieder angelegt wird, besteht eine Chance, das Sehvermögen weitgehend zu erhalten.
Ursachen und Formen der Netzhautablösung
Die Medizin unterscheidet drei Hauptformen: rhegmatogen, traktionsbedingt und exsudativ. Jede dieser Formen entsteht auf unterschiedliche Weise – und doch führen sie alle zum gleichen Ergebnis: die empfindliche Netzhaut löst sich von ihrer lebenswichtigen Versorgungsschicht ab.
Rhegmatogene Netzhautablösung
Dies ist die häufigste Form der Erkrankung. Sie entsteht meist als Folge einer hinteren Glaskörperabhebung, einem Vorgang, der mit zunehmendem Alter bei fast jedem Menschen auftritt. Der Glaskörper – eine gelartige Substanz, die den größten Teil des Augeninneren ausfüllt – schrumpft im Laufe der Jahre leicht und verändert seine Struktur. Dabei kann er sich an bestimmten Stellen von der Netzhaut lösen.
Um den Vorgang zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Anatomie: Der Glaskörper ist von einer feinen Membran umgeben, der sogenannten Glaskörpergrenzmembran. Zwischen dieser Membran und der Netzhaut bestehen zahlreiche Anheftungen, besonders an empfindlichen Punkten: an der Makula, am Sehnervenkopf, an den Netzhautgefäßen und in der äußersten Peripherie. Diese Übergangszone wird als vitreoretinale Grenzschicht bezeichnet.
In dieser Grenzschicht können krankhafte Veränderungen entstehen – etwa epiretinale Gliose oder Makulaforamen –, doch häufig beginnt alles ganz harmlos: Der Glaskörper, der zu rund 98 % aus Wasser besteht, entmischt sich mit zunehmendem Alter. Seine Eiweißbestandteile verklumpen und ziehen sich zusammen. Was früher klar und durchsichtig war, wird trüber – und wir nehmen es als „Mouches volantes“, kleine schwebende Fäden oder Punkte im Blickfeld, wahr. Dieser Prozess ist normal und tritt meist ab dem 50. Lebensjahr auf, bei Kurzsichtigen jedoch oft deutlich früher.
Problematisch wird es, wenn sich der Glaskörper nicht gleichmäßig löst. Dann entstehen Zugkräfte an der Netzhaut – manchmal so stark, dass kleine Gefäße einreißen (sichtbar als „Rußregen“) oder winzige Risse entstehen. Durch diese Risse kann Flüssigkeit aus dem Glaskörperraum unter die Netzhaut eindringen – und sie hebt sich ab. Das ist die klassische rhegmatogene Netzhautablösung. Solche Defekte finden sich häufig im oberen Bereich des Auges, weil der Glaskörper durch die Schwerkraft nach unten absinkt.
Traktionsbedingte Netzhautablösung
Diese Form entsteht nicht durch Risse, sondern durch Zugkräfte von bindegewebigen Strängen im Augeninneren. Sie ist häufig die Folge anderer Erkrankungen, bei denen sich krankhaftes Gewebe in der Netzhaut bildet – etwa bei einer diabetischen Retinopathie, Netzhautvenenverschlüssen, nach Augenoperationen oder im Rahmen einer Frühgeborenenretinopathie. Dieses Narbengewebe zieht mit der Zeit an der Netzhaut und kann sie regelrecht anheben oder verformen. Oft entwickelt sich die Ablösung dabei schleichender, manchmal über Wochen.
Exsudative Netzhautablösung
Hier liegt die Ursache nicht im Zug oder einem Riss, sondern im Austritt von Flüssigkeit aus den Gefäßen der Aderhaut. Diese Flüssigkeit sammelt sich zwischen Netzhaut und Aderhaut und hebt die Netzhaut ab. Häufige Auslöser sind Entzündungen, Gefäßerkrankungen oder Tumoren der Aderhaut. Da keine mechanische Verbindung besteht, lässt sich diese Form meist nur durch Behandlung der Grunderkrankung kontrollieren.
Jede dieser Formen stellt eine ernste Bedrohung für das Sehvermögen dar. Doch je besser man ihre Ursachen versteht, desto eher lassen sich Risikofaktoren erkennen – und die feine Balance zwischen Glaskörper, Netzhaut und Aderhaut bewahren.
Netzhautablösung und Retinoschisis
Eine Netzhautablösung gehört zu den schwerwiegenden Erkrankungen des Auges und erfordert rasches Handeln. Sie entsteht, wenn sich die Netzhaut von der darunterliegenden Aderhaut abhebt und dadurch nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgt wird. Durch eine Operation lässt sich die Netzhaut in vielen Fällen wieder anlegen und das Sehvermögen teilweise erhalten.
Retinoschisis – Spaltung der Netzhaut
Nicht jede Veränderung der Netzhaut bedeutet sofort eine Ablösung. Es gibt auch Formen, bei denen sich die Schichten der Netzhaut spalten, ohne dass sie sich vollständig von der Aderhaut löst. Eine solche Spaltung nennt man Retinoschisis. Während die Netzhautablösung meist plötzlich und akut auftritt, entwickelt sich eine Schisis langsam und unauffällig. Oft bleibt sie über Jahre stabil und wird zufällig bei einer augenärztlichen Untersuchung entdeckt. Erst wenn Risse oder Flüssigkeitsansammlungen hinzukommen, kann sich aus einer Schisis eine Ablösung entwickeln. So sind Netzhautablösung und Schisis eng miteinander verwandt – die eine entsteht durch das Abheben, die andere durch das Auseinanderweichen der Netzhautschichten. Beide erfordern Achtsamkeit, regelmäßige Kontrollen und ein gutes Verständnis dafür, was im Auge geschieht.
Unter einer Retinoschisis versteht man eine Spaltung der neurosensorischen Netzhaut. Diese kann die inneren oder äußeren Schichten betreffen und in jedem Alter auftreten. In vielen Fällen bleibt sie stabil und verursacht keine Symptome, weshalb sie meist nur zufällig bei einer augenärztlichen Untersuchung entdeckt wird. Eine Behandlung ist in der Regel nicht erforderlich – die Schisis wird beobachtet. Kommt es jedoch zu einer Schisisablatio oder einer Ablatio retinae, also einer Ablösung der Netzhaut infolge der Spaltung, ist eine Operation unumgänglich.
X-chromosomale juvenile Retinoschisis
Eine besondere Form der Erkrankung ist die X-chromosomale juvenile Retinoschisis. Sie ist genetisch bedingt und betrifft fast ausschließlich Jungen und Männer. Die ersten Anzeichen zeigen sich häufig bereits im Kleinkind- oder Schulalter – meist durch eine zunehmende Verschlechterung des zentralen Sehens. Im Verlauf kommt es durch die fortschreitende Degeneration der Netzhaut zu einer stetigen Visusminderung, die oft im Alter zwischen 50 und 60 Jahren zur Erblindung führt. Die genauen Ursachen des zugrunde liegenden Gendefekts sind bislang unbekannt.
Erworbene (senile oder degenerative) Retinoschisis
Die erworbene Retinoschisis, auch senile oder degenerative Form genannt, tritt bei beiden Geschlechtern auf und findet sich meist im unteren Quadranten des Auges. Als Ursache wird ein Zusammenfließen von zystoiden Räumen in der Netzhaut vermutet. In rund 60 % der Fälle sind beide Augen betroffen, oft ohne Beschwerden – der Befund erfolgt häufig zufällig bei einer Routineuntersuchung.
Man unterscheidet eine flache (typische) und eine bulböse (retikuläre) Form. Während die flache Schisis meist harmlos bleibt, kann die retikuläre Form höher aufgewölbt sein und somit gefährlicher verlaufen. Hier kann es zu Foramina (kleinen Öffnungen) kommen, durch die Flüssigkeit eindringt und eine Schisisablatio oder gar eine Netzhautablösung entstehen kann. Dieses Risiko ist jedoch sehr gering – nur etwa 0,05 % der Betroffenen entwickeln eine solche Komplikation. In seltenen Fällen breitet sich die Schisis langsam aus, was bei etwa 2 % der Patienten beobachtet wird.
Die Spaltung betrifft meist die äußere Netzhautschicht und geht mit mikrozystischen Veränderungen der peripheren Netzhaut einher – oft bereits seit der Geburt vorhanden. Im Laufe der Jahre fließen diese mikrozystischen Räume zusammen und bilden eine Schisis. Als Vorstufe gilt das sogenannte Blessig-Iwanoff’sche Ödem.
Eine Retinoschisis kann auch zu einem Gesichtsfeldausfall (Skotom) im betroffenen Bereich führen. Die flache Form bleibt meist stabil, während die retikuläre Form bei etwa 60 % der Fälle mit einer Netzhautablösung einhergehen kann. In diesen Fällen ist eine operative Behandlung erforderlich.
Quelle: Bericht über den 240. Freiburger Augenärzteabend, 6. Februar 2009
Makuläre Retinoschisis
Die makuläre Retinoschisis entsteht meist im Zusammenhang mit starker Kurzsichtigkeit (über –6 Dioptrien) und ist häufig mit einem posterioren Staphylom verbunden. In seltenen Fällen kann sich aus ihr ein Makulaforamen oder eine Netzhautablösung im Bereich der Makula entwickeln. Auch bei einer Grubenpapille oder einer diabetischen Retinopathie kann eine Retinoschisis auftreten.
Quelle: Renner A. B., Helbig H. – Retinoschisis: Formen, Manifestation, Therapiemöglichkeiten
Zusammenfassung
Die Retinoschisis zählt zu den selteneren Netzhauterkrankungen. In den meisten Fällen bleibt sie stabil und erfordert keine Behandlung – nur in Ausnahmefällen, wenn Risse oder Flüssigkeitsansammlungen entstehen, wird eine Operation notwendig. Regelmäßige augenärztliche Kontrollen sind wichtig, um Veränderungen frühzeitig zu erkennen. Für Betroffene ist vor allem entscheidend, die Erkrankung zu verstehen – und zu wissen, dass eine Schisis nicht automatisch eine Netzhautablösung bedeutet, sondern meist ruhig und über viele Jahre stabil bleibt.
Wenn du mehr über andere Erkrankungen der Netzhaut erfahren möchtest, findest du hier weiterführende Informationen zu:
- Frühgeborenenretinophatie- ROP
Gefäßverschlüsse und Tumorerkrankungen der Netzhaut und Aderhaut
- AMD und RP
Jede dieser Seiten beleuchtet ein eigenes Krankheitsbild – ruhig erklärt, medizinisch fundiert und mit Blick auf die Erfahrung der Betroffenen.
